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AutorenbildLisa

Oberarmfrei.

Mit 15 Jahren habe ich den Großteil meiner Freizeit auf Myspace verbracht. Myspace war aufregend, ein kleines Fleckchen Internet an dem man sich nicht nur zu seinen Lieblingsthemen austauschen konnte, wie man es schon seit Jahren in Foren tun konnte, sondern an dem die ersten Selfies und Selbstdarstellungsversuche durch das streng durchkuratierte Myspace-Profil möglich geworden sind. 


Es war auch, für jemanden der in ländlicheren Gegenden aufgewachsen ist, eine Möglichkeit mit Menschen in Kontakt zu kommen, die man nicht persönlich kennt, aber mit denen man Interessen teilt. Und so habe ich Jakob kennen gelernt. Jakob heißt anders und ist nur ein kleiner Teil dieser Geschichte, jedoch einer der so prägend für meine persönliche Erfahrung ist, dass ich ihn erwähnen muss. Jakob und ich waren Teil derselben Musikszene - oder er war Teil der Szene, während ich einfach gern die Musik gehört habe. Jakob war ein paar Jahre älter als ich und ziemlich vernetzt. Ich hatte kein romantisches Interesse an Jakob aber mit 15 ist man leicht zu beeindrucken und will verzweifelt von “coolen Leuten” gemocht werden - und so begann ein reger Chatverlauf, vollgepackt mit “Teenage-Angst” und einer Überheblichkeit die es in dieser Form nur in der Indie-Szene der 00er Jahre gab. 


Auch wenn wir offensichtlich kein sexuelles Interesse aneinander hatten, war das Thema das Teenager beschäftigt auch in unserem Austausch Thema. Was macht eine Person attraktiv? Was ist besonders schön an einer Person oder was ist anziehend - körperlich oder nicht.

Klar, für mich als 15 Jähriges pretentious indiegirl war das: wildes ungestümes Haar, skinny jeans und ein Blick der sagt “meine erste Mahlzeit sind Zigaretten und ein kalter Kaffee.”

Jakob hatte eine andere Antwort: Oberarme. Dünne Oberarme, eh klar, das ist impliziert.


An diese Antwort denke ich bis heute, 15 Jahre später, wenn ich mich im Sommer anziehe. Nicht weil ich traurig war, dass ich als mehrgewichtige Teenagerin nicht attraktiv für diese einzelne Person war, sondern weil mir klar wurde: sogar Oberarme sind ein Faktor der bestimmt wie attraktiv ich als Frau wirke. Klar, das war nicht das erste Mal, dass ich gehört habe, dass dünne (oder heute: definierte, jeder Zeit ihre Ideale) Oberarme attraktiv sind. In Zeitschriften gab es pünktlich zum Sommerstart Artikel dazu wie man seine “Bingo-Arme”, das “BH-Fett” oder die “Pralinenpölsterchen” (Wer denkt sich eigentlich diese Namen aus?) los wird um besonders fuckable den kommenden Sommer zu werden. Meine medial bestärkten Befürchtungen wurden also zum ersten Mal Realität: meine eigene Attraktivität ist direkt korrelierend mit jedem einzelnen Teil meines Körpers - auch den Oberarmen. 


Wie es bei Frauenkörpern aber noch viel prägender ist: alles was nicht attraktiv ist, ist direkt ein Ärgernis für die Öffentlichkeit. Es gibt Kleidungsstücke die nur dazu da sind, die ungebändigten Oberarme zu verstecken. Sogar in der Bademode gibt es die passende Bademode mit Rüschen die Fettpölsterchen, die sich an den Achseln natürlich ergeben, verdecken sollen. Frauenkörper in der Öffentlichkeit sind immer dazu da schön zu sein. Attraktiv, ästhetisch und wenn es am Körper mangelt, dann muss man eben nachhelfen, verdecken oder besser noch gleich aus der Öffentlichkeit fern bleiben. 

Die Entfremdung vom eigenen Körper, die Zerstückelung des selbst in einzelne Teilbereiche die man als Baustellen sieht, ist so stark, dass man neben neuer Begriffe für diese “Problemzonen” den Bezug zu sich selbst als ganzes verliert. 


Mit 17 schaue ich mir zum ersten Mal einen Youtube Tutorial an: so posierst du um deine Oberarme besonders dünn aussehen zu lassen. Schultern nach hinten, Ellenbogen abwinkeln, Hand auf die Hüfte und den Ellenbogen stark nach hinten ziehen. Vorsicht: Kinn nach oben und Zunge an die Munddecke drücken, sonst bekommt man ein Doppelkinn. Ich habe diese Pose seither für jedes Foto verinnerlicht - manchmal erwische ich mich in einem normalen Gespräch dabei wie ich versuche unauffällig meine Oberarme “richtig” zu positionieren. 


Wenn ich heute im Hochsommer die Wohnung in einem Kleid mit Spaghetti-Trägern verlassen will sträubt sich mein ganzer Körper dagegen. Ich sehe mich im Spiegel, sehe eine große blaue Vene an meinem Arm, die Falte zwischen Arm und Achsel wird immer prominenter, ich drehe mich zur Seite - wie ein Pfannkuchen denke ich mir. Ich spanne meinen Bizeps an - so geht es eigentlich, aber wer geht schon ununterbrochen mit angespannten Muskeln durch die Gegend? Ich greife zu meinem altbewährten Cardigan – ein weiteres Relikt aus der Indiephase 00er Jahre  – und schaffe es erst dann aus der Tür. Ich bin in diesem Moment primär Oberarm, der Cardigan, meine einzige Rettung. Wieso es mir gerade mit den Oberarmen so schwer fällt mich gegen meine eigenen Gedankenspirale aufzulehnen verstehe ich immer noch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass wir in den letzten Jahren viele Dinge entmystifiziert haben. Dicke Hintern waren in meinen Teenager-Jahren noch eine Beschimpfung, genauso wie breite Oberschenkel, Behaarung noch kein Thema in Werbung oder auf Social Media. Und auch wenn ich rational weiß, dass meine Oberarme kein Problem sind, es niemanden interessiert und es mich nicht interessiert ob jemand meine Oberarme als attraktiv empfindet: meine Oberarme und ich, das dauert noch eine Weile. Nach Jahren der Entfremdung brauchen wir noch ein bisschen Zeit, bis wir uns zusammen zeigen können. 




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